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Jetzt fehlt nur noch die Abschlussarbeit

Aktualisiert: 18. Aug. 2020

Warum es früher auch nicht besser war. Wie Gedanken vom Gehirn in eine Abschlussarbeit wandern können. Und wo hier das Wörtchen “shitty” hineinspielt.


Irgendwie habe ich es hinbekommen damals im letzten Jahrhundert (was sage ich, Jahrtausend!), als ich meine Diplomarbeit geschrieben habe. Ich hatte wohlgemerkt einen großen Startvorteil; mit Anglistik und Germanistik war ich im Schreiben gut geübt. Trotzdem, die Diplomarbeit war eine ganz andere Kategorie als Proseminar- oder Seminararbeit. So wundert es nicht, dass einige Kolleginnen und Kollegen auf den letzten paar Metern das Handtuch geworfen haben. „Mir fehlt eh nur noch die Abschlussarbeit“, hörte man damals. Man hört es heute noch. Dabei würden es diese Studierenden intellektuell allemal schaffen. Sie werden aber bei der Frage nach dem „Wie“ im Regen stehen gelassen. Denn das schulische Schreiben von Berichten, Nacherzählungen und Erörterungen lehrt nicht, wie man die Komplexität einer Abschlussarbeit in den Griff bekommt.


Studierende bekommen zwar Richtlinien in die Hand gedrückt, welche Kriterien eine Arbeit zu erfüllen hat. Sie wissen, wie sie korrekt zitieren, gendern, welche Schriftgröße und Zeilenabstände zu wählen sind, wo und bis wann sie die Arbeit zur Plagiatsprüfung hochladen müssen etc. Wie die Bachelor-, Master-, Diplom- oder sonst wie genannte Abschlussarbeit überhaupt einmal aufs Papier bzw. in den Computer kommt, steht nicht drinnen. Als würde sich diese Fertigkeit durch den Erwerb von genügend ECTS-Punkten von alleine herausbilden.


Frischer Wind in akademischen Schreibstuben


Aber es tut sich etwas auf dem Gebiet. Seit einigen Jahren kann man beobachten, dass mehr und mehr akademische Einrichtungen Schreibseminare, Tutorien, Schreibtreffs u. ä. anbieten. Das ist gut, richtig und höchst erfreulich.


Vergangene Woche habe ich mich in die Riege derer eingereiht, die wissenschaftliches Schreiben vermitteln. Im Lehrgang Kulturmanagement an der mdw | Universität für Musik und darstellende Kunst Wien habe ich das erste Seminar „Schreibwerkstatt: wissenschaftliches Schreiben“ gehalten. Ich habe es erwartet und es hat sich bestätigt: Die dringendste Frage der Studierenden war nicht nach den formalen Vorgaben, sondern: Wie komme ich überhaupt ins Schreiben? Die Antwort dazu durften sie sich gleich selbst gegeben – ich habe sie wild drauf losschreiben lassen und siehe da, es hat funktioniert. „Freewriting“ macht seinem Namen alle Ehre.


Schreiben als würde man ein Instrument lernen


Meine Studierenden werden auch in den kommenden Seminareinheiten viel schreiben. Denn mit dem Schreiben verhält es sich wie mit dem Erlernen eines Musikinstruments. Die ersten Töne sind schräg und die Finger suchen ungelenk nach ihrem Platz. Mit Übung und nach einiger Zeit aber entlockt man dem Instrument hinreißende Melodien. Keiner erwartet, dass man sich als Neuling gleich auf die Bühne stellt.


Und beim Schreiben? Da setzt man den Anspruch (an sich selbst) viel zu hoch an. Doch niemand schreibt beim ersten Mal druckreif. Nicht umsonst nennt Anne Lamott das, was dabei rauskommt „shitty first draft“.


Zurück zur mdw: Die Studierenden werden (hoffentlich) ihre Scheu vor dem Schreiben verlieren und grandiose Abschlussarbeiten abgeben. Sie wird ihnen nicht zu jeder Zeit leicht von der Hand gehen, aber sie werden den Weg ihrer Gedanken vom Kopf aufs Papier kennen und gehen können.



Der Tipp am Ende

Wenn die Worte ihren Weg nicht auf den Bildschirm finden wollen: Computer abschalten, Stift und Zettel zur Hand nehmen und einfach drauf losschreiben, ohne Pause, 10 Minuten. Dann schau dir an, was dabei rausgekommen ist. Du wirst staunen! Vor dir liegt dein „shitty first draft“, mit dem du weiterarbeiten kannst.





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